Architektur in Lettland: Mehr als nur Jugendstil!

Architektur, also eigentlich das Abbild des Zeitgeistes und der zeitnahen Lebensumstände, in denen Architektur stattfindet, ist natürlich nicht nur in Riga anzutreffen, sondern auch auf dem Land.

L-Infos/fr – Wenn man an Lettland denkt, dann denkt man an die kilometerlangen Ostseestrände, an Riga, vielleicht noch an eine der berühmten Markthallen in Riga – seinerzeit auch eine architektonische Meisterleistung -, gewiss denkt man aber an den allgegenwärtigen Jugendstil in Riga. Wobei, Lettlands Architektur begrenzt sich bei weitem nicht nur auf den – dies ist aber unbestritten – weltweit berühmten lettischen Jugendstil! Rigas Jugendstilbauten locken Millionen Touristen an. Unbeachtet bleiben dagegen die historischen Holzhäuser. Dabei waren sie für die Vergabe des Unesco-Welterbe-Titels an die Stadt ebenso bedeutsam. Aber gut: Fast acht Jahrhunderte architektonischer Vielfalt kann man im heutigen Lettland finden. Diese hat sich vom einfachen Familien-Holzhaus bis zur skulpturalen Glasarchitektur der neuen lettischen Nationalbibliothek entwickelt. Trotz ihrer Unaufdringlichkeit erzählt die lettische Architektur Geschichten aus der unmittelbaren Gegenwart, aber auch der Vergangenheit! Wie z.B. die Nationalbibliothek in Riga, aber eben auch die neue Bibliothek in der kurländischen Kreisstadt Talsi, die bei vielen Einwohnern (trotz ihrer relativen Schlichtheit) auf Kritik stößt: Architektur erzählt von heutigen und vergangenen, manchmal sogar längst vergangenen, Zeiten. Lettland, besser Riga, steht für den Jugendstil schlechthin – hier gibt es ihn tatsächlich noch: Den gelebten Traum! Jugendstil steht für den eindrucksvollen Wohlstand der Vorkriegszeit zur Wende des 20. Jahrhunderts. Nach Abbruch der alten Befestigungsanlagen wurden neue Gebäude außerhalb der Altstadt von Riga bevorzugt im Jugendstil gebaut.

Lettland: Mehr als nur Jugendstil!

Riga: Die reichen Industriellen konkurrierten untereinander nicht nur beim Geschäfte machen, sondern auch beim Prahlen.

Riga: Die reichen Industriellen konkurrierten untereinander nicht nur beim Geschäfte machen, sondern auch beim Prahlen. Das ist in der „Alberta iela“, wo viele der Unternehmer wohnten, immer noch zu sehen. Die kunstvollen Fassaden mit Blumen und aufwendigen Figuren ließen jedes weitere Haus immer extravaganter werden. Die Begeisterung für den Jugendstil führte allerdings auch zu einer wesentlich praktischeren Herangehensweise. Diese war notwendig, um den neuen lettischen Staat effizient und schnell aufzubauen. Daher die anmutigen Linien und die ungeschmückte simple Eleganz des Funktionalismus in mehreren Schulen und Bahnhöfen, in der Bank in der „Vaļņu iela“ und in den Stadtteilen Mežaparks und Teika. In den 30er Jahren entstanden allerdings auch einige Gebäude im großen Maßstab des in Europa verbreiteten Monumentalismus. Die prägendsten Beispiele sind das Ministerkabinett und das Finanzministerium in Riga.

Der Zweite Weltkrieg brachte einen Umschwung mit sich, und der sowjetische Modernismus überflutete die lettischen Städte mit tristen Hochhäusern.

Der Zweite Weltkrieg brachte einen Umschwung mit sich, und der sowjetische Modernismus überflutete die lettischen Städte mit tristen Hochhäusern. Ganze Viertel dieser einheitlichen Gebäude, die aufgrund der Massenimmigration im Zuge der massiven Industrialisierung gebaut wurden, dominieren die meisten Randbezirke der großen Städte. Ein großer Teil der Stadtbevölkerung bewohnt sie immer noch!

Ziegelbauten der späten 20er und 30er Jahre stehen in vielen lettischen Städten

Die moderne lettische Architektur versucht das traditionelle Erbe wiederherzustellen und den Postmodernismus aufzugreifen. Führende lettische Architekten widmen ihre Arbeit der Bewahrung und Rekonstruktion der lettischen Holzarchitektur aus dem 19. Jahrhundert, wie zum Beispiel die Einfamilienhäuser von Zaiga Gaile in Ķīpsala (Riga).

Das Highlight der modernen lettischen Architektur ist aber das imposante "Lichtschloss", das neue Gebäude der Lettischen Nationalbibliothek des lettisch-amerikanischen Architekten Gunārs Birkerts. Der international angesehene Bau beherbergt außerdem den Sitz der lettischen EU-Ratspräsidentschaft 2015.

Architektur, also eigentlich das Abbild des Zeitgeistes und der zeitnahen Lebensumstände, in denen Architektur stattfindet, ist natürlich nicht nur in Riga anzutreffen, sondern auch auf dem Land. Einmal abgesehen von einer modernen Bibliothek in Talsi und einem wesentlich renoviertem Stadt-Kulturhaus, dominieren in den Kleinstädten, wie eben beispielhaft in Talsi, die Ziegelbauten der späten 20er und 30er Jahre. Danach kamen schon die Betonbauten des Sozialismus, die sich dann recht unansehnlich in das Stadtbild schoben. Wohnungstypen wie übersetzt „Chruschtschow“, „Krieg“, „LT Projekt“ und natürlich „Familie“ waren allerdings dann auch einst begehrte Ein- und Zweizimmerwohnungen.  

Lettlands Holzhäuser sind eigentlich die "Paradepferde" einer eigenständigen lettischen Architektur

Sehenswert sind aber die Holzhäuser in Lettland: Sie „wachsen“ in den Straßen und Gassen, teils sehr renovierungswürdigen, aber genau deshalb so unglaublich charmanten Holzhäusern und mit den vielen schönen alten Eichen. Lettland kann sich mit mehreren Tausend Holzgebäuden und -Bauten rühmen, von ländlichen Einzelhöfen bis hin zu Holzhäusern in den Straßen von Riga. Heutzutage ist die Holzarchitektur nicht nur ein bedeutender Teil des historischen Nachlasses, sondern auch das Milieu, in dem sich die zeitgenössische Kultur entfaltete.

·         Nicht nur in Talsi: Die historische Landschaft des Kurorts Jūrmala, die von den im 19.Jahrhundert und zu Beginn des 20.Jahrhunderts entstandenen Holzgebäuden geprägt ist, besteht zum größten Teil aus Sommerhäuser. Typisch für diese Häuser sind im Holz geschnitzte Verzierungen, womit Fenster, Fassaden und Dachgiebel geschmückt sind.

·         Das Landgut Ungurmuiža – ein Holzgebäudeensemble des 18.Jahrhunderts, das die einzigen Barockholzgebäude Lettlands mit vielen einzigartigen Wandbemalungen sind. Nach der Restaurierung dient das Landgut als Museum und Gästehaus. Einmal im Jahr wird hier das Fest der Opernmusik veranstaltet, an dem Stars der Nationaloper Lettlands teilnehmen.

·         Der archäologische Museumspark Āraiši –  eine befestigte Siedlung aus dem 9.-10.Jahrhundert ist die einzige Rekonstruktion einer Seeburg in Europa. Der Museumspark liegt in einer gut erhaltenen, kulturhistorischen Landschaft, die einen einzigartigen Kontrast zur modernen urbanen Umwelt schafft.

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